Wölfe und Wissenschaft -

Der Wolf und das Nadelöhr  

Bei der Ausbreitung der Wölfe gibt es bestimmte Routen die räumlich sehr begrenzt sind. Diese Korridore sind von großer Bedeutung für die Ausbreitung, da dort Störungen einen fundamentalen Einfluss auf das Ausbreitungsverhalten haben können. Ein Bespiel ist der nordwestliche Apennin in Italien, der ein Engpass für die Ausbreitung italienischer Wölfe in die Alpen ist.

"Ökologische Korridore" erleichtern Bewegungen, Wanderungen und den genetischen Austausch zwischen Populationen. Diese sind langfristig für die Gesundheit der Tiere entscheidend. Wie begegnen nun die Betroffenen den Wölfen in solchen Korridoren? Der Schutz der Tiere wurde ja „von oben“ verordnet, ohne die Beteiligung der dort lebenden Interessengruppen. Daraus ergibt sich ein Bedarf an Sozialforschung, die untersucht, wie unterschiedliche Einstellungen, Überzeugungen, Erfahrungen, Kenntnisse und Werte in Entscheidungen einbezogen werden können.

Bild: Der Ausschnitt zeigt die Region Ligurien (in grau) und die Provinz La Spezia (in fett)

Das Ziel der Arbeit von Paolo Bondi und KollegInnen war es, Faktoren bei der Beeinflussung von Einstellungen und Wissen über Wölfe in der Region Ligurien im Nordwesten Italiens zu bewerten (Abbildung). Diese Region gilt als kritischer ökologischer Korridor, der zwei Wolfspopulationen miteinander verbindet. Weiterhin soll die Studie erforschen, wie die Menschen in der Region die Koexistenz von Wölfen verstehen, um gezieltere Forschungs- und Managementstrategien zu ermöglichen. Für diese Untersuchung haben die Autorinnen die Region La Spezia entsprechend der Wolfsverbreitung in zwei unterschiedliche Gebiete unterteilt. Diese wurden als Wolfsgebiete mit nachgewiesener Wolfspräsenz und Gebiete ohne nachgewiesene Wolfspräsenz klassifiziert (WA und NWA, Abbildung).
Sie verteilten 1.128 Fragebögen an eine Vielzahl von Verbänden, die Interessengruppen repräsentieren, die als entscheidend für die Koexistenz mit dem Wolf gelten. Dazu gehörten Jagd-, Landwirtschafts-, Freizeit- und Naturschutzverbände sowie Grund- und Sekundarschüler. Dazu wurden örtlich Versammlungen organisiert, um das Projekt zu erläutern, und die ausgefüllten Fragebögen wurden eine Woche später bei Folgetreffen abgeholt. Bei Schülern der Primar- und Sekundarstufe wurden die Fragebögen in Präsenz ausgefüllt.
Der Fragebogen war in zwei Abschnitte unterteilt. Der erste Abschnitt konzentrierte sich auf persönliche, demografische Informationen über die Teilnehmenden und ob sie einer Interessengruppen angehören. Im zweiten Abschnitt wurden die Überzeugungen, Einstellungen und Kenntnisse der Teilnehmenden über Wölfe und deren Schutz bewertet. Insgesamt wurden 707 Fragebögen ausgewertet, was einer Rücklaufquote von 63 % entspricht.

Insgesamt wurde festgestellt, dass die Betroffenen den Wölfen in beiden Untersuchungsgebieten (WA und NWA) relativ tolerant gegenüberstehen, unabhängig von ihrer Exposition. Die historische Präsenz von Wölfen könnte die Einstellungen gemildert haben, was Forschungsergebnisse unterstützt, die zeigen, dass negative Einstellungen eher an Orten zu finden sind, an denen Wölfe neu hinzugekommen sind und nicht schon lange dort leben. Während Naturschützer der Koexistenz erwartungsgemäß positiv gegenüberstanden, waren Jäger ebenso positiv eingestellt, ein Ergebnis, das im Gegensatz zu anderen Studien steht, die darauf hindeuten, dass Jäger weniger tolerant gegenüber Wölfen sind.  Im Gegensatz dazu tolerieren Landwirte die Anwesenheit von Wölfen weniger. Dies könnte durch anhaltende Spannungen über die Verantwortung für Ernte- und Land-"Schäden hohe Huftierbestände verursacht werden. Um sozialpolitische Spannungen zu überwinden und die Wolfstoleranz in La Spezia zu erhöhen, sollten Jäger und Landwirte aus Wolfsgebieten und Nicht-Wolfsgebieten sowie andere Gruppen in Projekte einbezogen werden. Dies kann dazu beitragen, Vertrauen aufzubauen und den Teilnehmenden die Möglichkeit geben, gemeinsam Strategien zu entwickeln, die Intoleranz und das Gefühl der Ausgrenzung bekämpfen.


Quelle: Bongi, Paolo, et al. "Coexistence in ecological corridors: understanding tolerance of wolves in the Northwestern Apennines, Italy." Human Dimensions of Wildlife 28.1 (2023): 53-69.


Link (Abstract): https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/10871209.2021.2010288


Zusammenfassung: Reinhard Hehl


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