Wölfe und Wissenschaft -
Habitatmodellierung und Abschätzung der potenziellen Anzahl von Wolfsterritorien in Deutschland

Bild BfN-Skript 556
28.07.2020 - Einführung und Zusammenfassung der Studie

Innerhalb Europas sind in den letzten drei Jahrzehnten Wölfe in Gebiete zurückgekehrt, wo sie ehemals vorkamen und einst ausgerottet wurden, und damit auch nach Deutschland. Im Jahr 2000 konnte nach mehr als 150 Jahren der erste Nachwuchs von Wölfen in Deutschland nachgewiesen werden. Seitdem nimmt der Wolfsbestand stetig zu. Für das Monitoringjahr 2018/2019 wurden in den Bundesländern 105 Rudel, 29 Paare und 11 territoriale Einzeltiere nachgewiesen (Stand 02.04.2020, DBBW). Aktuell erstrecken sich die Territorien in einem Band von Ostsachsen nordwestlich bis an die Nordsee. Vereinzelt wurden außerdem Wolfsterritorien in Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein- Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen nachgewiesen. 
Beiderseits der deutsch-polnischen Grenze befindet sich das größte zusammenhängende Vorkommensgebiet der sog. mitteleuropäischen Flachlandpopulation. Ausgehend von dieser Population wandern Wolfsindividuen u.a. nach Belgien, Luxemburg, in die Niederlande sowie nach Dänemark und Tschechien ab. 
Seit 1992 ist der Wolf nach europäischem Recht streng geschützt und sowohl eine prioritäre Art als auch eine Art von gemeinschaftlichem Interesse (Anhänge II und IV der Fauna- Flora-Habitat Richtlinie). Gemäß Bundesnaturschutzgesetz wird der Wolf in Deutschland als streng geschützte Art geführt. In Folge des strengen Schutzstatus auf europäischer und nationaler Ebene konnten sich die ersten Wolfsterritorien in Westpolen und in der Lausitz um die Jahrtausendwende etablieren. Aufgrund hoher Siedlungsdichte und intensiver Landnutzung wurde die ehemals kleinteilige Kulturlandschaft in großen Teilen Deutschlands von einer strukturärmeren Kulturlandschaft abgelöst. Dennoch können Wölfe sich im Zuge der Wiederbesiedlung diesen Gegebenheiten anpassen. 
Foto © Cornelia Arens - KlickFaszination
Auch für die Menschen in Deutschland stellt die Wiederbesiedlung durch den Wolf eine neue Situation dar. Beispielsweise nehmen mit der Bestandszunahme und Ausbreitung die wolfsverursachten Schäden an Weidetieren zu. Die meisten Übergriffe von Wölfen auf Weidetiere gibt es vor allem dort, wo Wölfe sich in neuen Territorien etablieren und die Schaf- und Ziegenhalter sich noch nicht auf deren Anwesenheit eingestellt haben. Daher haben alle Flächenbundesländer Managementpläne bzw. Leitlinien zum Wolf erlassen. Hierbei sind Maßnahmen, die Konflikte im Vorfeld minimieren oder potentielle Schäden begrenzen, ein wichtiger Bestandteil. Die Bundesländer unterstützen die Weidetierhaltenden durch die z.T. vollständige Finanzierung von Herdenschutzmaßnahmen wie etwa elektrische Zäune oder Herdenschutzhunde. Auch das Monitoring von Wölfen, Hinweise zum Umgang mit auffälligen Wölfen sowie Zuständigkeiten und Handlungsschemata sind wichtige Bestandteile der Managementpläne der Bundesländer. 
Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) haben von Anfang an die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland durch verschiedene Forschungsvorhaben begleitet. So wurden wissenschaftliche Studien u.a. zur Abwanderung und Ausbreitung von Wölfen in Deutschland beauftragt, Fachkonzepte zum Monitoring und Management erarbeitet und gemeinsame Standards von Bund und Ländern entwickelt. Auch wurden Tagungen durchgeführt und eine grenzübergreifende Zusammenarbeit begonnen. Durch die Einrichtung der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) Anfang 2016 wurde dem Bedarf der Länder an bundesweit aufgearbeiteten, aktuellen Informationen zum Wolf sowie der Beratung in allen Belangen des Wolfsmanagements angesichts der Wiederbesiedlung entsprochen. 

Mit der zunehmenden Ausbreitung sowie positiven Entwicklung der deutschen Wolfsvorkommen besteht seitens der Länder aber auch die Notwendigkeit, die Managementmaßnahmen regelmäßig und vorausschauend an die zu erwartende Situation anzupassen. Zu diesen Maßnahmen zählen etwa das Monitoring sowie insbesondere die Förderung und Umsetzung des Herdenschutzes in der Fläche. Um abzuschätzen, welche Gebiete in Deutschland für Wölfe geeigneten Lebensraum (Habitat) darstellen, baten die Länder auf der 89. Umweltministerkonferenz im November 2017 in Potsdam den Bund um eine derartige Analyse. Basierend auf den errechneten Habitateignungskarten sollte zudem die mögliche Anzahl von Wolfsterritorien in Deutschland abgeschätzt werden. Das BfN hat die DBBW mit der Durchführung dieser Studie beauftragt. 
Diese Analyse liegt mit der Studie „Habitatmodellierung und Abschätzung der potenziellen Anzahl von Wolfsterritorien in Deutschland“ in diesem Band der BfN-Skripten vor (BfN-Skript 556). Sie untersucht die derzeit von Wölfen in Deutschland besiedelten Habitate und deren Eigenschaften, um daraus abzuleiten, welche Gebiete in Deutschland potenziell für Wölfe geeignet sind. 
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Die Umweltbedingungen, unter denen Wölfe in früheren Zeiten gelebt haben, weichen stark von denen der modernen Kulturlandschaften ab: Einst war der Wolf das am weitesten verbreitete Säugetier der Erde; bis auf wenige Ausnahmen wie etwa Eiswüsten oder einige Inseln besiedelten Wölfe die gesamte nördliche Hemisphäre. Durch ihr hohes Anpassungspotential an unterschiedliche Lebensräume werden Wölfe als sogenannte Habitatgeneralisten bezeichnet. Wölfe sind territoriale Tiere und leben in einem Rudel, welches meist aus beiden Elterntieren und deren Nachkommen der letzten zwei bis drei Jahre besteht. Im Alter von 11 bis 24 Monaten verlassen die meisten Wölfe ihr Elternterritorium. Wichtig u.a. für die Jungenaufzucht sind in jedem Territorium Rückzugsräume vor Menschen, speziell in der Kulturlandschaft. Wölfe verteidigen ihr Revier gegen andere Wölfe, sodass sich vergleichsweise wenige Wölfe auf großer Fläche verteilen. Die Größe der Territorien hängt vor allem von der verfügbaren Nahrung ab. Ein Wolfsterritorium muss mindestens so groß sein, dass die Elterntiere jedes Jahr genug erbeuten können, um den Nachwuchs großzuziehen. In Mitteleuropa liegen die in Studien ermittelten Reviergrößen oft zwischen 100-350 km2, in Deutschland bei ca. 200 km2 (s. Kap. 1.1 Anlass und Ziel der Studie). 
Zum allerersten Mal wurde für die vorliegende Habitatmodellierung auf originär in Deutschland erhobene Daten zurückgegriffen und nicht alleinig auf Expertenmodelle oder Extrapolationen statistischer Analysen anderer Länder (Kap. 1.2, Stand des Wissens). Als Datengrundlage wurden alle bekannten Wolfsterritorien seit dem Jahr 2000 sowie die Telemetriedaten von allen bislang in Deutschland besenderten Wolfsindividuen verwendet (s. Kap. 5, Danksagung). Speziell Telemetriedaten liefern die notwendigen Informationen zur Habitatnutzung, welche eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung geeigneter Habitatmodelle und somit für robuste Aussagen zum verfügbaren Wolfshabitat in Deutschland darstellt. 
Durch die Ermittlung der Habitatpräferenz, also welche Habitate Wölfe bevorzugen, kann die potenzielle Eignung von bisher noch nicht von Wölfen besiedelten Gebieten mittels statistischer Verfahren errechnet werden. Hierfür wurden von den Autorinnen und Autoren der Habitatmodellierung zwei verschiedene statistische Modelle herangezogen, die dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen und Standardverfahren darstellen (Kap. 2.3, Statistische Modellierung). Zwei Modelle wurden genutzt, um durch den Vergleich der Analyseergebnisse der beiden Modelle auf die Robustheit der Aussagen schließen zu können. Die Ergebnisse der relativen Habitateignung waren bei beiden Modellen sehr ähnlich und zeigen, dass vor allem die Umweltvariablen Landnutzung, Einwohnerdichte sowie die Entfernung zu Siedlungen und Straßen Einfluss auf die Habitateignung haben. So sind etwa Großstädte wie z.B. Berlin und Hamburg, Ballungsräume wie z.B. Halle/ Leipzig und ein Großteil von Nordrhein-Westfalen entsprechend ihrer Habitateignung für die Etablierung von Wolfsterritorien schlecht geeignet. Gebiete mit einer sehr guten Eignung liegen u.a. in den bayerischen Alpen, entlang der tschechischen Grenze, in den Mittelgebirgen sowie verstreut in Nordostdeutschland (s. Kap. 3, Ergebnisse). 
Basierend auf der relativen Habitateignung wurde in der vorliegenden Studie zusätzlich die Anzahl der potentiellen Wolfsterritorien in Deutschland geschätzt. Als Grundannahme wurde eine Territoriumsgröße von 200 km2 zugrunde gelegt, da dies der aktuellen durchschnittlichen Territoriengröße in Deutschland entspricht. Sind die Territorien kleiner oder größer, kann die Anzahl der abgeschätzten Territorien dementsprechend variieren. Für die Abschätzung der möglichen Anzahl an Wolfsterritorien wurden die Ergebnisse der beiden angewandten statistischen Modelle sowie zusätzlich zwei verschiedene statistische Schwellenwerte herangezogen, um eine ausreichende Fehlerbreite in der Vorhersage der potentiellen Territorien abbilden zu können (s. Kap. 2.4, Abschätzung der Anzahl an Wolfsterritorien). Bei der Abschätzung der Anzahl der Territorien ist zu beachten, dass diese gewissen Varianzen unterliegen. So zeigen die Ergebnisse je nach Schwellenwert und Modell ein geschätztes Potential für ca. 700-1400 Wolfsterritorien. Hierbei kann es sich um Einzeltiere, Paare oder auch Rudel handeln (s. Kap. 3, Ergebnisse). 
Bei der Angabe der Territorien handelt es sich jedoch keinesfalls um eine Zielgröße für eine deutschlandweite Bestandsentwicklung und deren Management. Vielmehr sollen die Ergebnisse das mögliche Potential der verfügbaren Wolfshabitate darstellen und so die Bundesländer bei der Planung und Anpassung ihres Wolfsmanagements unterstützen. 
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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass je nach Modell und Schwellenwert große Teile Deutschlands geeignete Lebensräume für mögliche Wolfsterritorien aufweisen (s. Kap. 3, Ergebnisse und Abb. 11). Damit besteht in vielen Gebieten in Deutschland die Möglichkeit, dass im Zuge der Ausbreitung weitere Territorien gegründet werden. Aufgrund der Territorialität von Wölfen wird dabei langfristig in bestimmten Gebieten die Anzahl der Territorien und somit auch die Anzahl von Wölfen stagnieren bzw. um einen bestimmten Wert fluktuieren. Die Ergebnisse der Studie zeigen zudem, dass in Deutschland grundsätzlich in allen Landschaften mit durchziehenden oder in Teilen mit territorialen Wölfen gerechnet werden muss. Da den Ergebnissen eine Vielzahl von Berechnungen und Annahmen zugrunde liegen, kann mittels der Habitatmodellierung nicht jedes einzelne zukünftige Territorium exakt vorhergesagt werden. Die Berechnungen zeigen jedoch eine hohe Kongruenz von modellierten und tatsächlich besiedelten Wolfsterritorien. Dennoch kann eine Ansiedlung von Wölfen in weniger oder nicht geeigneten Gebieten nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Die Ergebnisse der Studie besitzen daher auch keine Vorhersagekraft, sondern zeigen vielmehr das derzeit mögliche Potential für die Etablierung von Wolfsterritorien in geeignetem Lebensraum auf (s. Kap. 4, Diskussion). Dagegen stellen die Daten des bundes- weiten jährlichen Monitorings (www.dbb-wolf.de) das tatsächliche Vorkommen von Rudeln, Paaren und territorialen Einzeltieren für das jeweilige Monitoringjahr dar, welche nach einheitlichen Standards in den Bundesländern erhoben werden. 
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie liefern den für das Wolfsmanagement zuständigen Behörden und Institutionen die notwendigen Informationen, um eine vorausschauende Anpassung ihrer Maßnahmen zu ermöglichen. Insbesondere der Förderung und Umsetzung von Herdenschutzmaßnahmen zur Sicherung der Weidetiere vor Wolfsübergriffen kommt eine maßgebende Rolle zu. Daher wird die frühzeitige Umsetzung effektiver Herdenschutzmaßnahmen durch Weidetierhaltende auch für die Gebiete empfohlen, in denen bislang noch keine Wolfsterritorien vorhanden sind, um Nutztierübergriffe zu vermeiden.
Quelle: Stephanie Kramer-Schadt, Moritz Wenzler, Pierre Gras und Felix Knauer „Habitatmodellierung und Abschätzung der potenziellen Anzahl von Wolfsterritorien in Deutschland“, BfN-Skripten 556, 2020

Link (Volltext):  

Zusammenfassung: Katharina Steyer und Sandra Balzer, BfN
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