Wölfe und Wissenschaft -

Vom Konflikt zur Koexistenz  

Wenn es um das Zusammenleben zwischen Menschen und Wölfen geht werden meistens Konflikte in den Vordergrund gestellt. Das hat mit den neuentstandenen Wolfspopulationen in Regionen zu tun, in denen Menschen und Wölfe keine Erfahrung im Zusammenleben haben. Dies führt zu einer negativen Berichterstattung in den Medien und fördert die negative Einstellung gegenüber Wölfen. In Regionen in denen es schon immer Wölfe gab, haben die Menschen gelernt mit ihnen zusammenzuleben. Aus diesem Grund haben sich die AutorInnen einer kürzlich veröffentlichten Studie damit befasst wie Menschen das Zusammenleben mit Wölfen an Orten sehen wo es sie schon immer gegeben hat um daraus ein Modell für die zukünftige Koexistenz mit Wölfen abzuleiten.
Die Studie wurde im Grenzgebiet zu Portugal in Kastilien und León, einer autonomen Gemeinschaft in Spanien, erstellt. Das Untersuchungsgebiet, Sanabria-La Carballeda (S-LC), hat eine der höchsten Wolfsdichten in Europa. 

Bild: Karte von Sanabria-La Carballeda

Die AutorInnen untersuchten die wichtigsten sozial-ökologischen Bedingungen in diesem ununterbrochen von Wölfen besiedelten Gebiet um daraus Rückschlüsse für ein künftiges Koexistenzmodell zu ziehen. Die Forschung konzentrierte sich auf folgende Fragen: 1) Wie sich die Koexistenz in S-LC im Laufe der Zeit bewährt hat; 2) Was die Koexistenz in den S-LC für Wildtiere und Menschen bedeutet hat; und 3) bedeutende Veränderungen, die die Koexistenz in Zukunft beeinflussen könnten. Sie untersuchten auch die möglichen Auswirkungen auf integrierte Schutzgebiete und Ansätze in anderen Regionen. Aufgrund ihrer ständigen Präsenz wurden in Spanien mancherorts traditionelle Methoden zur Verhinderung von Wolfsangriffen beibehalten, wie z. B. das Schafehüten und die Haltung von Herdenschutzhunden. In den letzten 40 Jahren hat sich die Population des iberischen Wolfs (Canis lupus signatus) auf derzeit mehr als 2.000 Tiere deutlich vergrößert, was sie zu einer der größten Wolfspopulationen in Westeuropa macht. Das macht Spanien für die Untersuchung der Koexistenz äußerst relevant. Als das Untersuchungsgebiet (S-LC) noch weitgehend besiedelt und landwirtschaftlich genutzt wurde, bestand die primäre Verteidigung der Menschen gegen den Wolf in der Wachsamkeit der Schäfer und in verschiedenen Methoden zur Tötung von Wölfen. Die Verfolgung erfolgte jedoch nur sporadisch. Dies trug dazu bei, dass S-LC zu einer der letzten Wolfsbastionen in Spanien wurde. Der besondere Status von S-LC als Ziel für die Beobachtung und Bejagung von Wölfen schafft eine interessante Dynamik und führt zu widersprüchlichen Ansichten über die vergangenen und zukünftigen Koexistenzbedingungen in diesem Gebiet. Lokale Landwirte und Hirten müssen sich mit den praktischen Problemen der Koexistenz auseinandersetzen, während Jäger, Touristen und wolfsbezogene Unternehmen, die oft anderswo leben, die Hauptnutznießer sind. Obwohl Landwirte und Hirten indirekt von dem erhöhten wirtschaftlichen Umsatz und der Bereitstellung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Jagd und dem Tourismus profitierten, gab es keinen finanziellen Ausgleich, der ihre prekäre wirtschaftliche Lage oder die erhöhte Arbeitsbelastung durch die Überschneidung mit dem Lebensraum der Wölfe gemildert hätte. Wenn diese Ungleichheit nicht behoben wird, wird sie die Koexistenz und die wahrgenommene Legitimität der Naturschutzpolitik weiter untergraben. Die Verhandlungen über den europäischen Green New Deal und die Gemeinsame Agrarpolitik bieten die Möglichkeit, die Finanzierungsmechanismen gerechteren und ökologisch nachhaltigeren Grundsätzen anzupassen. Die Auswirkungen derartiger politischer Maßnahmen könnten zu einer Abkehr von Schadensersatzzahlungen führen, da diese langfristig wirtschaftlich nicht rentabel sind, insbesondere, da sich Karnivoren weiter ausbreiten. Eine Alternative könnten Zahlungen für diejenigen sein, die in einem Raubtiergebiet leben, ähnlich wie die Unterstützung für Landwirte, die auf Grenzertragsflächen produzieren. Ein weiterer interessanter Vorschlag ist ein Naturschutz Grundeinkommen. Für beide Systeme sind jedoch noch viele Fragen offen, bevor sie in größerem Maßstab angewandt werden können, zum Beispiel in Bezug auf die Abgrenzung des Gebiets, die Finanzierung und die Legitimität. Ungeachtet dieser Fragen glauben die AutorInnen, dass diese Programme zu einer hoffnungsvolleren und gerechteren Naturschutzpolitik beitragen könnten, indem sie Anreize für konviviale Praktiken schaffen und sicherstellen, dass funktionierende Koexistenzgebiete langfristig gedeihen.

Quelle: Pettersson, H. L., Quinn, C. H., Holmes, G., & Sait, S. M. (2022). They Belong Here. Conservation & Society, 20(2), 113-123.


Link (Volltext): https://www.conservationandsociety.org.in/article.asp?issn=0972-4923;year=2022;volume=20;issue=2;spage=113;epage=123;aulast=Pettersson 


Zusammenfassung: Reinhard Hehl


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