Wölfe und Wissenschaft -

Was fressen Wölfe? 

Der Wolf ist vor mehr als 20 Jahren nach Deutschland zurückgekehrt und ist ein Paradebeispiel für erfolgreichen Naturschutz. Trotzdem gibt es aufgrund der Landschaftszerschneidung und den Ernährungsgewohnheiten des Wolfs immer wieder Konflikte. Um die Ernährungsgewohnheiten der Wölfe näher zu untersuchen, haben die AutorInnen einer kürzlich erschienenen Studie die Nahrungszusammensetzung von 11.225 Kotproben über einen Zeitraum von über 20 Jahren untersucht.

Abbildung: Prozentualer Anteil von Reh (Capreolus capreolus), Wildschwein (Sus scrofa), Rothirsch (Cervus elaphus), Damhirsch (Dama dama), mittelgroßen Säugetieren (Medium size mammals) und anderen (Other food) am Nahrungsspektrum der Wölfe.

Bei dieser Studie kam heraus, dass wildlebende Huftiere, vor allem Rehwild und Schwarzwild, 94% ihrer Nahrung ausmachen. Es gibt aber auch saisonale und regionale Unterschiede und, mit Ausnahme des Mufflons, welches lokal fast verschwunden ist, ist keine andere Huftierart vom Speiseplan der Wölfe verschwunden. Da Wolfskot seit Beginn der Wiederbesiedlung Deutschlands für Ernährungsanalysen gesammelt wurde, hatten die AutorInnen die einmalige Gelegenheit, eine Langzeitstudie über die Ernährungsgewohnheiten der Wölfe in Mitteleuropa durchzuführen. Die vorliegende Studie stellt eine systematische Auswertung der Ernährungsgewohnheiten von Wölfen in Deutschland über 20 Jahre dar und gibt einen detaillierten Überblick über die räumlichen und zeitlichen Muster und die Dynamik der Beutewahl und der Nahrungszusammensetzung. Die Hauptbeute war Rehwild mit einem Biomasseanteil von 45,1 %, gefolgt von Schwarzwild mit 27,3 %. Auf Rot- und Damwild, die nicht in allen Teilen des Untersuchungsgebiets vorkommen, entfielen 11,7 % bzw. 5,4 % der Biomasse. Mufflon wurde nur sporadisch auf dem Speiseplan der Wölfe nachgewiesen. Mit einem Biomasseanteil von 3,4 % stellten mittelgroße Säugetiere eine weitere Nahrungskategorie dar, in der vor allem Hasen, gefolgt von Nutria und Bibern nachgewiesen wurden. Vieh, insbesondere Schafe und Rinder, wurde in 1,6 % des Kots nachgewiesen und machte einen Biomasseanteil von 1,8 % aus. Die Nutzung von Reh-, Rot- und Schwarzwild schwankte im Laufe der Jahre stark. Im Nochten- Territorium wurde ein positiver Trend in Richtung Wildschwein und ein negativer Trend in Richtung Rehwild festgestellt. Das Rehwild war bis zum Jahr 2013 die Hauptbeute in Nochten. Im Milkel-Territorium konnte ein Rückgang des Rehwildes und eine Zunahme des Schwarzwildes unter den Beutetieren nachgewiesen werden. Mit 71,6 % war das Schwarzwild seit 2011 eindeutig die Hauptbeute. Mit Ausnahme des ersten Jahres der Studie wurden in Lehnin ausgewogene Verhältnisse in der Beutewahl beobachtet. In der Königsbrücker Heide wurde bis 2015 ein relativ hoher Anteil (9,0 %) an Bibern gefunden, danach gab es nur noch sporadische Nachweise von Bibern in der Wolfsnahrung.
Jungtiere unter 12 Monaten machen einen bedeutenden Anteil der Beutetiere in der Wolfsnahrung besonders im Frühjahr und Sommer aus. Etwa 26 % der Nachweise von Rehwild, 32 % von Schwarzwild und 20 % von Damwild konnten zuverlässig als Kitze, Ferkel oder Kälber (Damwild) identifiziert werden. Beim Rotwild wurde fast die Hälfte der Proben als Kälber identifiziert, was 50 % der verzehrten Rotwildbiomasse entspricht. Rotwildkälber wurden mit Ausnahme der Wintermonate das ganze Jahr über häufig genutzt.

Wenn man aus dem Nahrungsbedarf und den Untersuchungsergebnissen die absolute Zahl der Beutetiere pro Wolf und Jahr kalkuliert bedeutet dies, dass ein Wolf Im Untersuchungsgebiet im Durchschnitt 47 Rehe (davon 12 Jungtiere), 14 Wildschweine (davon 3 Jungtiere), 5 Rothirsche (davon 3 Jungtiere) und 3 Damhirsche (davon 1 Jungtier) pro Jahr verzehrt hat.

Zusammenfassend zeigt die Studie, dass Wölfe opportunistische Fleischfresser sind und dass die Zusammensetzung der Wolfsnahrung in erster Linie von der Verfügbarkeit und der Dichte der Beute abhängt. Die Studie bestätigte auch, dass sich Wölfe in Deutschland hauptsächlich von wildlebenden Huftieren ernähren und nur selten von Nutztieren. Die Zusammensetzung der Nahrung kann von Revier zu Revier erheblich variieren. In der vorgestellten Studie konnte anhand der verfügbaren Daten kein Einfluss der Wolfsernährung auf die Populationsdynamik der einheimischen wilden Huftiere festgestellt werden.

Quelle: Lippitsch, P., Kühl, H., Reinhardt, I., Kluth, G., Böcker, F., Kruk, M., ... & Ansorge, H. (2024). Feeding dynamics of the wolf (Canis lupus) in the anthropogenic landscape of Germany: a 20-year survey. Mammalian Biology, 1-13.


Link (Abstract): https://link.springer.com/article/10.1007/s42991-024-00399-2


Zusammenfassung: Reinhard Hehl


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